31. Kapitel

Washington, D.C. 9. März

Mark Beamon wich einem jungen Mann aus, der mit einem Handwagen voller Schachteln aus der Tür des SIOC kam.

Der Raum war ein einziges Chaos. Der Konferenztisch war an die Wand geschoben worden, dafür stapelten sich in der Mitte des Zimmers große Pappschachteln, und ringsum häuften sich endlose Kraftfahrzeugscheine. An jedem war mit einer Heftklammer die Kopie eines Führerscheins befestigt.

Laura kam mit einem breiten Grinsen zu ihm herüber. »Wir sind gerade dabei, einigen Kram, der nicht so wichtig ist, wieder wegzuschaffen. Es wird langsam schwer, sich hier drin zu bewegen.«

Beamon nickte. »Sie haben also die Kfz-Scheine jedes roten Cherokees in Maryland?«

»Wir haben die Kraftfahrzeugscheine von jedem Cherokee. In Maryland wird die Farbe darin nicht aufgeführt.« Laura strahlte. Im Gegensatz zu ihm liebte sie solche Detailarbeit und war ganz in ihrem Element.

»Wie viele?«

»Lassen Sie mal sehen …« Sie kaute nachdenklich an ihrem Stift. »Ich glaube, es sind insgesamt fast siebentausend.«

Beamon stieß einen Seufzer aus. Gott sei Dank, dass sie sich mit Wonne durch all diesen Mist wühlte

»Und wie weit sind wir?«, fragte er mit einem unterdrückten Gähnen.

»Wir haben heute Morgen damit angefangen, uns die dreißig Hauptverdächtigen genauer anzuschauen.«

Die Verdächtigen waren danach geordnet worden, inwieweit die Fotos und die Angaben auf dem Führerschein über Größe und Gewicht mit der Zeugenbeschreibung übereinstimmten und der ziemlich vagen Zeichnung nach den Aussagen des Mannes aus dem Laden für Theaterbedarf.

»Schon?«, erwiderte Mark. »Wie, zur Hölle, haben Sie es geschafft, derart schnell siebentausend Dokumente durchzugehen?«

»Es waren nur ungefähr fünfzehnhundert. Wir haben mit den roten Jeeps angefangen.«

»Aber Sie haben doch gesagt, die Farbe sei in den Scheinen nicht angegeben.«

»Das nicht, aber aufgrund der Fahrgestellnummern konnte Chrysler für uns die Farbe feststellen.«

Er verbeugte sich tief, dass sein alter Trenchcoat, den er auf dem Arm trug, über den Boden fegte. »Wie immer macht mich Ihre Tüchtigkeit sprachlos, meine Liebe.«

Sie lächelte. »Die dreißig sind dort drüben, wenn Sie mal einen Blick drauf werfen wollen.« Laura deutete auf eine Tafel mit ordentlichen Reihen von Führerscheinen. In der oberen rechten Ecke hing die Phantomzeichnung ihres Verdächtigen.

»Warum nicht? Ich brauche nur erst ein paar Tassen Kaffee, dann bin ich so weit.«

Zu seiner Enttäuschung entdeckte Beamon, dass die Kaffeekanne fast leer war. »Wer hat den ganzen Kaffee ausgetrunken und keinen neuen gemacht?«, rief er über die Schulter.

Alle Agenten im Raum wirkten plötzlich ungemein beschäftigt.

»Was haben Sie übrigens den ganzen Morgen getan?«, fragte Laura. Es war fast zehn Uhr.

Beamon zog ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Kennen Sie diesen Senator, dessen Sohn vor ein paar Wochen an vergiftetem Koks gestorben ist?«

»James Mirth?«

Beamon nickte. »Ich war gerade bei ihm. Er wollte, dass ich persönlich erscheine und ihm erkläre, warum ich die Leute immer noch nicht gefasst habe, die seinen Sohn umgebracht haben.«

»Oje«, sagte Laura mitfühlend. »Und wie lief es?«

»Beschissen. Jetzt lassen Sie uns mal sehen, was wir haben.« Er ging an die Tafel und tastete in seinen Taschen nach der Brille. Tom Sherman winkte ihm aus der Ecke des Raums zu, wo er gerade telefonierte.

»Hier hätten wir die Kandidaten.« Laura deutete auf die dreißig kopierten Farbfotos. Neben jedem stand ein Name und die wenigen Angaben aus den jeweiligen Führerscheinen. Beamon fand seine Brille und inspizierte ein Bild nach dem anderen. Irgendwo in der vierten Reihe stutzte er.

»Verfluchte Scheiße!«, rief er so laut, dass Laura sich ihren Kaffee über die Bluse kippte. »Dieses Arschloch kenne ich!«

Beamon riss das Bild von der Tafel und knallte es auf den Konferenztisch. »Herrgott, Laura, hören Sie auf, an Ihrer Bluse rumzuzupfen, und kommen Sie her. Das ist er!«

Alle ließen stehen und liegen, was immer sie gerade taten,und versammelten sich um ihn. Sherman beendete sein Telefonat und setzte sich ans Ende des Tischs.

»Ich habe mit diesem Kerl mal bei einer Ermittlung in Baltimore zusammengearbeitet – muss vor zehn Jahren gewesen sein«, begann Beamon. »Er war damals bei der DEA. Ich war zuerst ziemlich von ihm beeindruckt – er war ruhig, ungemein klug und verbiss sich regelrecht in die Arbeit. Wir wollten uns mit einem seiner Informanten treffen, ich bin ein wenig zu spät gekommen, und er hatte ihn in der Zeit elend zusammengeschlagen. Der verlogene Hundesohn hat fast dafür gesorgt, dass ich gefeuert wurde.«

Er wandte sich um, machte ausgelassen einen Luftsprung wie ein Footballspieler und grinste von einem Ohr zum anderen. Am liebsten hätte er laut gejubelt.

»Ruft die Jungs an, die ihn überprüfen, und sagt ihnen, dass er verdammt gefährlich ist.«

»Tut mir Leid, dir die Stimmung zu verderben, Mark«, warf Sherman ein, »aber vergisst du nicht etwas?«

Beamon überlegte einen Moment. »Lass mal sehen … finde die Identität des Verbrechers heraus und schnapp ihn. Darum geht’s doch, oder? Na bitte!«

Sherman deutete auf ein Telefon, das an einer der Glaswände des Raums befestigt war. »Du musst Calahan anrufen.«

»Ich nehme nicht an, dass du mir das abnehmen willst.«

Sherman schüttelte den Kopf. »Der Erfolg geht auf dein Konto, Mark. Kann nichts schaden, wenn du auch die Anerkennung einheimst.«

Beamon seufzte und wählte die direkte Verbindung zum Büro des Direktors. Es wurde beim ersten Läuten abgehoben

»Calahan.«

»Mark Beamon. Sir – ich glaube, wir haben unseren Mann identifiziert. Es ist ein ehemaliger DEA-Agent namens John …«

»Wann können Sie ihn festnehmen?«, unterbrach ihn der Direktor aufgeregt. Er klang, als plane er bereits seine Pressekonferenz.

»Ich weiß es nicht, Sir. Wir glauben, er ist in der Gegend von Baltimore. Vielleicht könnten wir ihn sogar bei sich zu Hause abholen – aber das bezweifle ich. Wenn er dort seit einer Weile nicht mehr gesehen worden ist, müssen wir annehmen, dass er irgendwo in der Stadt untergetaucht ist. In diesem Fall holen wir am besten zur Verstärkung ein paar Jungs aus New York und Philadelphia hinzu. Mit ihrer Hilfe haben wir ihn in ein paar Wochen sicher aufgestöbert, vorausgesetzt, dass er immer noch im Gebiet von Baltimore ist.«

Es gab eine lange Pause am anderen Ende der Leitung. »Falls er nicht in seinem Haus ist, ziehen Sie die Polizei von Baltimore hinzu. Sie haben weit mehr Leute, als wir aufbieten können.«

Beamon hatte geahnt, dass der Direktor diesen Vorschlag machen würde. Er hatte nur gehofft, dass seine Ahnung ihn diesmal täuschen würde.

»Ich glaube nicht, dass das im Moment eine so gute Idee ist. Ich möchte nichts tun, was diesen Kerl warnen könnte.«

»Ich habe es satt, dass ständig so getan wird, als seien das FBI und die Polizei zwei feindliche Gruppen.« Calahans Stimme war um eine Spur lauter geworden.

Beamon unterbrach ihn, ehe er noch weiter auf diesem Thema herumreiten konnte. »Sir, nichts gegen die Polizei von Baltimore, nur glaube ich, dass ein Mann wie John Hobart ein Auge darauf haben wird, was dort vor sich geht.«

»Wenn ich will, dass die Polizei von Baltimore hinzugezogen wird, werden Sie das gefälligst auch machen, verdammt noch mal!«, brüllte Calahan in diesem hohen Jaulen, das Beamon nur allzu gut kannte.

Er versuchte, so ruhig und bedächtig zu antworten, wie Tom Sherman es stets machte, wenn er den Direktor beschwichtigen wollte. »Sir, Sie haben mir die Leitung dieser Ermittlung übertragen aufgrund meiner Erfahrung und meiner bisherigen Erfolge. Bitte, lassen Sie mich einfach meinen Job machen, dann erwische ich diesen Kerl auch.«

Calahan lachte zynisch. »Ihre Erfahrung und Ihre bisherigen Erfolge? Liebe Zeit, wir haben aber eine hohe Meinung von uns, was? Bilden Sie sich bloß nichts ein. Ich habe Sherman lediglich nachgegeben und Sie holen lassen, weil Sie leicht zu entbehren sind.«

Beamon spürte, wie er langsam die Beherrschung verlor. Tausende von Leuten waren tot, und Calahan spielte mal wieder eines seiner privaten Machtspielchen. »Sir, eigentlich hätte ich nicht einmal Ihnen so viel Dämlichkeit zugetraut. Oder läuft da irgendeine Kungelei, von der ich nichts weiß?«

Im Raum wurde still. Einen Moment lang dachte Beamon, dass sogar der CNN-Kommentator im Fernseher verstummt sei. Als er sich umwandte, um nachzusehen, riss Tom Sherman ihm das Telefon aus der Hand.

»Sir, hier ist Tom Sherman.«

Beamon ging zurück zum Konferenztisch und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Trotz des laufenden Fernsehers hörte man deutlich das schrille Gebrüll aus dem Telefon.

Alle schauten ihn voller Bewunderung und mit aufmunterndem Lächeln an. Beamon stellte sich vor, dass jeder einzelne seiner jungen Kollegen abends ins Bett ging und sich dabei ausmalte, genau das zu tun, was er soeben getan hatte. Sherman legte den Hörer auf.

»Könnten Sie uns bitte ein paar Minuten allein lassen?«, sagte er zu den anderen, die leise aus dem Raum gingen. Beamon empfand einen Anflug von Schuldgefühl. Sherman hatte im Lauf der Jahre eine Reihe von bösen Schlägen abgeblockt, die für ihn bestimmt gewesen waren. Außerdem war ihm klar, dass Tom seinen Ruf riskiert hatte, als er ihm diesen Fall übertragen hatte.

»Sie nicht, Laura«, sagte Sherman und nahm Beamon gegenüber Platz. Laura setzte sich so weit wie möglich von ihnen entfernt an den Konferenztisch.

»Was, zur Hölle, denkst du dir eigentlich, Mark? Konntest du nicht einfach diesen Fall abschließen und deiner Legende ein weiteres Kapitel hinzufügen? Und mit einer ordentlichen Beförderung hättest du dann ebenfalls rechnen können, dafür hätte ich schon gesorgt.«

»Scheiße, Tommy. Du weißt genau, dass ich dir für deine Bemühungen dankbar bin, das weißt du doch, oder? Aber sehen wir der Sache ins Gesicht – meine Arbeit hier ist sowieso befristet. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich bin froh, wenn ich diesen Fall abschließen und wieder zu meinem einfachen Leben in El Paso zurückkehren kann.«Sherman schüttelte seufzend den Kopf. »Es ist nicht mehr länger dein Fall. Laura hat jetzt die Leitung.«

Beide Männer wandten sich zu ihr um. Sie sah aus, als wäre sie am liebsten unter den Tisch gekrochen.

Beamon stand auf. »Bestens. Dann muss ich wohl zusehen, dass ich mein Flugzeug erwische.«

»Nein, musst du nicht. Du bleibst im Team. Calahan scheint zu denken, dass du vielleicht ein bisschen demütiger wirst, wenn du unter einer Frau arbeiten musst.«

Beamon verkniff es sich, zu Laura zu schauen. Diese Beleidigung würde sie bitter übel nehmen. »Ich weiß nicht, Tommy, hat es dich etwa demütiger gemacht, für einen Trottel zu arbeiten?«

Sherman stand auf und ging zur Tür. »Es ist mir egal, wie ihr beiden euch hier einigt, aber ich will dir eins sagen. Wenn wir diesen Kerl bis heute Abend nicht fassen, häng dich ans Telefon, ruf den Polizeikommandeur an und informiere ihn über alles. Das ist übrigens keine Bitte.«

Sherman blieb an der Tür stehen. »Ach ja, übrigens – Laura, diese frauenfeindliche Bemerkung stammt von Calahan, nicht von mir. Als Mark mich gebeten hat, Sie ins Team zu holen, hat er mir versichert, Sie seien einer der besten Ermittler des FBI. Und ich muss sagen, dass er Recht hat.«

»Na bravo, Mark«, seufzte Laura, nachdem Sherman die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Was haben Sie sich bloß dabei gedacht, so mit dem Direktor zu reden?«

Beamon stieß sich kräftig vom Tisch ab, sodass sein Stuhl ein gutes Stück zurückrollte. »Warum denn nicht, verflucht noch mal? Calahan war einige Jährchen als Richter tätig und spielt Golf mit ein paar miesen Politikern – qualifiziert ihn das etwa dazu, mir zu sagen, wie ich meine Ermittlungen führen soll? Es wäre direkt zum Lachen, wenn es nicht zwanzigtausend Tote gäbe.«

Laura setzte sich auf den Stuhl neben ihn. »Okay, Calahan ist ein Idiot. Das ist kein Grund, dass Sie dauernd auf dem Selbstzerstörungstrip sind. Langsam wird man diese Masche ein wenig leid, Mark.«

»Ich bin’s auch leid, das können Sie mir glauben.« Laura schlug spielerisch mit der Faust gegen sein Knie. »Dann wollen wir besser zusehen, dass wir diesen Kerl schnappen, damit Sie zurück nach El Paso kommen, ehe Calahan Sie noch zum Hausmeister degradiert. Haben Sie einen Plan?«

»Ich denke, wir müssen ihn zur Fahndung ausschreiben. Hobart ist ein gerissener Hundesohn. Ich kann Ihnen beinahe garantieren, dass wir ihn bis heute Abend nicht fassen werden.«

»Das soll man den Polizeikräften am besten bei der morgendlichen Dienstbesprechung mitteilen. So können wir zumindest verhindern, dass es über Funk durchgegeben wird.«

Beamon nickte. »Darf ich ein paar Vorschläge machen?« Laura lächelte. »Ich glaube, ich habe noch nie gehört, dass Sie schon mal etwas vorgeschlagen haben. Anscheinend verbessert es Ihre Umgangsformen, für ein nettes kleines Mädchen zu arbeiten.«

»Darauf verlassen Sie sich mal lieber nicht.«

»Tue ich auch nicht. Also, was schlagen Sie vor?«

»Nun, wenn sich herausstellt, dass Hobart nicht in seinem Haus wohnt – und damit rechne ich –, muss er irgendwo anders leben, vermutlich in einem Mietshaus. Lassen Sie von einigen Jungs eine Liste aller Häuser erstellen, die ungefähr zu dem Zeitpunkt vermietet wurden, an dem die Nachbarn ihn nicht mehr gesehen haben. Das müsste man durch Makler und alte Zeitungen herausfinden können.«

»Sonst noch was?«

»Ja. Sobald er hört, dass wir hinter ihm her sind, wird er sich ein anderes Auto zulegen – falls er es nicht bereits getan hat. Die Mietwagenfirmen rund um Baltimore sollen uns von jedem einzelnen Kunden Führerscheinkopien faxen. Damit können wir gleich morgen früh anfangen.«

Laura nickte und machte sich auf ihrem Block Notizen.

»Haben Sie das wirklich über mich gesagt?«

»Was?«

»Sie wissen schon. Dass ich einer der besten Ermittler sei.«

Beamon lächelte. »Nee. Der gute Tom ist ein bisschen senil und bringt immer alles durcheinander. Ich hab schon seit Jahren meine liebe Not, das zu vertuschen.«

Officer Larry McFee hielt in der West Baltimore Street hinter einem anderen Streifenwagen. Er schaltete das Blaulicht ein, stieg aus und schob seinen Schlagstock in den Gürtel.

Eine kleine Gruppe Neugieriger hatte sich vor einem heruntergekommenen Reihenhaus versammelt. Fälle von häuslicher Gewalt waren zwar nichts Besonderes in dieser Gegend, aber immer eine interessante Ablenkung – eine kurze Unterbrechung der Langeweile an diesem ungewöhnlich warmen Märznachmittag.

McFee schob sich wortlos durch die Menge, die ihm nurwiderwillig Platz machte, um ihren mangelnden Respekt für das Gesetz zu demonstrieren. Er hasste Ehestreitigkeiten mehr als irgendwelche anderen Einsätze. Sie waren gefährlich und meist sowieso reine Zeitverschwendung. Zu einer Anklage kam es fast nie.

Das Reihenhaus war in vier kleine Wohnungen unterteilt. Eine Tür am rechten Ende des Korridors stand weit offen, und das Geschrei nahm an Lautstärke zu. Er umfasste seinen Schlagstock und trat mit energischen Schritten ein.

Ein untersetzter Farbiger, ungefähr fünfundvierzig Jahre alt, dessen nackte Brust blutverschmiert war, bedrohte mit einem Nudelholz einen jungen Polizisten, der eine 38er auf seinen Kopf gerichtet hatte. Immer wieder brüllte er ihn an, das Nudelholz fallen zu lassen und sich auf den Boden zu legen. McFee zog eine Grimasse und blickte sich um. Hinter dem Sofa half eine stämmige Polizistin einer Frau auf die Füße. Ihr Gesicht sah aus, als stamme von dort das Blut auf der Brust des Mannes.

McFee schüttelte angewidert den Kopf und spürte den alten Hass in sich aufsteigen. Ein Freund von ihm war in einer ganz ähnlichen Situation getötet worden.

»Was zum Teufel ist hier los?«

Der junge Polizist schaute sich hastig zu ihm um und schien sichtlich erleichtert über die Verstärkung.

»Der Kerl will das Nudelholz nicht hinlegen.«

McFee schnaubte, zog seinen Schlagstock aus dem Gürtel und ging langsam auf den Mann zu.

Seine Augen waren glasig, und McFee bemerkte, dass er ein wenig schwankte.

Statt zuzuschlagen, wich er einen halben Schritt zurück, genau wie McFee es erwartet hatte. In fünfzehn Jahren als Streifenpolizist hatte er gelernt, Menschen einzuschätzen.

McFee rammte ihm den Schlagstock in den Magen, dass er sich keuchend zusammenkrümmte, und versetzte ihm einen harten Schlag über den Rücken. Mit einem lauten Rums fiel der Mann zu Boden.

Während McFee ihm Handschellen anlegte, fing seine Frau, die sie vermutlich gerufen hatte, zu schreien an und ging mit den Fingernägeln auf die Polizistin los. Ihr Partner eilte ihr zu Hilfe.

McFee stand auf, zerrte den Mann auf die Füße und zur Tür hinaus.

Mit feindseligen Kommentaren machten ihm die Zuschauer noch widerwilliger Platz als bei seiner Ankunft. Er näherte sich seinem Wagen, als ihn jemand ansprang und er fast das Gleichgewicht verloren hätte.

Die Frau, die von ihrem Mann beinahe totgeprügelt worden war, hatte offensichtlich ihre Meinung geändert. Sie klammerte sich an McFees Rücken und versuchte aus Leibeskräften, ihn in den Hals zu beißen. Er ließ seinen Gefangenen los und schaffte es, die Frau am Haar zurück zu reißen. Die Angst vor Aids beherrschte jeden Polizisten, der in diesen Vierteln Dienst tat. Er schleuderte sie gegen den Streifenwagen, dass ihr die Luft wegblieb, und drückte sie auf den Bürgersteig.

Das Stimmengewirr der Menge war inzwischen noch aggressiver geworden. McFee wusste, wie wichtig es war, sofort wieder die Kontrolle zu gewinnen, und zog seine Waffe. Die beiden jungen Beamten, die oben an der Treppe standen, folgten seinem Beispiel

»Also, jetzt beruhigt euch alle und geht nach Hause«, schlug McFee vor. Niemand rührte sich. Seine Kollegen schoben sich an den Gaffern vorbei und legten der Frau, die sich auf dem Gehsteig wand, Handschellen an.

McFee half ihnen, das Paar in den Streifenwagen zu bugsieren, ohne die Menge aus dem Blick zu lassen. Anschließend ging er zurück zu seinem eigenen Wagen. Beim Losfahren sah er, wie das glückliche Paar auf dem Rücksitz sich erneut anschrie. Etwas prallte gegen seinen Kofferraum. Es klang wie eine Dose.

V e r f l u c h t e N i g g e r , dachte er und bog in die Pratt Street ein.

Er schaute auf seine Uhr. Viertel vor zwölf.

Als er Canton erreichte, beschloss er, zum Hafen zu fahren, wo es eine Kneipe gab, die ein Käsesteak mit Fritten und Cola für vier Dollar servierte. Und plötzlich entdeckte er vor sich einen roten Jeep Cherokee.

Bei der Dienstbesprechung heute Morgen hatte ihr Captain gesagt, sie sollten nach einem solchen Fahrzeug Ausschau halten. Zur Belustigung aller im Raum hatte er weiter erklärt, es sei von äußerster Dringlichkeit, diesen Mann zu verhaften, allerdings sei er extrem gefährlich und sie sollten nicht versuchen, ihn allein festzunehmen, sondern zunächst das FBI rufen. Eine anonyme Stimme hatte für alle gesprochen. »Ooooh, da fühle ich mich doch gleich viel sicherer.« Das Gelächter hatte die restlichen Worte des Captains übertönt. Auch wenn er es nicht für richtig gehalten hatte, ihnen zu sagen, wer dieser Gesuchte war, hatte man kaum eine Stunde gebraucht, um es herauszufinden.

McFee kramte in den Papieren auf seinem Beifahrersitz und fand schließlich den gelben Notizzettel, auf den er die Nummer des gesuchten Wagens gekritzelt hatte. Blinzelnd schaute er durch seine dreckige Windschutzscheibe.

Sie stimmte.

Er spürte, wie ihn die Aufregung packte. Er holte ein paar Mal tief Atem, fuhr dichter an den Jeep heran und schaltete sein Blaulicht an.

John Hobart hatte den Streifenwagen hinter sich längst bemerkt und fluchte leise. Sofort hatte er überprüft, ob er zu schnell fuhr, aber er war noch unter dem Limit von fünfunddreißig Meilen.

Er hatte die Verkleidung angelegt, die er seit bald zwei Monaten in Baltimore trug – rotbraun gefärbtes Haar und einen passenden falschen Bart. Doch auf dem Bild in seinem Führerschein sah er ganz anders aus. Und er hatte keine Lust, das irgendeinem dämlichen Streifenpolizisten zu erklären.

Er bog an den Straßenrand und überlegte, warum man ihn angehalten hatte. Wahrscheinlich war es lediglich ein defektes Bremslicht oder eine andere lächerliche Kleinigkeit. Nicht einmal der vielgepriesene Mark Beamon konnte derart rasch auf ihn gekommen sein. Und selbst wenn, würde er nicht einen einzelnen Bullen losschicken, um ihn festzunehmen.

Hobart musterte den Polizeibeamten, der ausgestiegen war und näher kam. Er geht viel zu langsam, dachte er und bemerkte auch, dass er die rechte Hand unnatürlich dicht an der Waffe hatte.

Das war einfach nicht normal. Er war ein Weißer mittleren Alters in einem teuren Auto – es gab also gar keinen Grund für einen Polizisten, so nervös zu sein.

Scheiße

Unauffällig griff er nach seiner 45er, entsicherte sie und nahm sie in die linke Hand, wo man sie nicht gleich sehen würde. Der Bulle hatte inzwischen den Jeep erreicht und bückte sich, um durch das offene Fenster hereinzuschauen.

»Das FBI ist Ihnen auf den Fersen, Mr. Hobart. Viele von uns stehen hinter dem, was Sie tun.«

Damit richtete er sich wieder auf und kehrte zu seinem Streifenwagen zurück. Er ging etwas steif, als befürchte er, doch noch eine Kugel in den Rücken zu bekommen, stieg in sein Auto und bog mit aufheulendem Motor wieder auf die Straße ein.

Hobart schaute ihm mit offenem Mund hinterher. Der Wagen wurde kleiner und kleiner und verschwand schließlich in einer Seitenstraße.

Mark Beamon 01 - Der Auftrag
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